Masao war angenehm überrascht, als er sie lachen hörte, dann lies er sich ihre Frage im Kopf herumgehen.
"Ehm ... huh ... das ist schwer."
Er lachte, dann hatte er eine Idee.
"Magst du Kunst ? Mir würde spontan die Kunsthalle einfallen, die haben eine schöne Ausstellung eröffnet."
Er sah sie vorsichtig an, erwartete jeden Moment, dass sie sich wieder in ihr Schneckenhaus zurückziehen würde. Er konnte ja von Glück reden, dass sie sich überhaupt erst so weit rausgewagt hatte. Abwartend sah er sie an, gespannt was sie dazu sagen würde.

In Leilas Augen lag ein glückliches Strahlen, als Masao die Kunsthalle erwähnte.
Wie oft hatte sie schon dort hin gewollt und es aber nie geschafft, weil entweder die Zeit nicht reichte, oder die potentielle Begleitung schlicht weg null Interesse an Kunst hatte. Das Mädchen musste sich ein fröhliches Quietschen in ihrer Kehle krampfhaft unterdrücken und faltete glücklich die Hände.
"Sag bloß, du magst Kunst?" Ihre düsteren Gedanken waren vollends verflogen und sie fragte sich erneut, wie Masao es geschafft hatte, die Situation auf so zufriedenstellende Art und Weise zu retten. Zu einer Antwort kam Leila jedoch nicht, weshalb sie leicht die Schultern zuckte und ihre Sachen zusammenklaubte, als wolle sie sofort los, um keine Zeit zu verlieren. Sie blieb zwar auf Abstand und sah sich vorsichtig um, damit sie die umherirrenden Menschen im Park im Auge behalten konnte, dennoch fühlte sie sich auf unerklärliche Art und Weise sicher und behütet.

Anscheinend ein Treffer ins Schwarze. Leila's Augen blitzten glücklich auf, und ein nur mühevoll unterdrücktes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Masao blieb tatsächlich für einen Moment die Spucke weg. Ihr Gesicht war ja schon schön, wenn es sich in diesem eiskalten, unbewegten Zustand befand. Aber das Lächeln von eben, auch wenn es nur eine Andeutung in ihren Augen und ihren Mundwinkeln gewesen war, war so strahlend schön, dass selbst Masao, der schon einige schöne Frauen kannte, das erst mal verarbeiten musste. Als er merkte, dass er sie fasziniert anblickte, riss er schnell seinen Blick los. Zum Glück war dieser kaum missverständlich gewesen, sondern hatte nur auf ihrem Gesicht geruht. Nichtsdestotrotz hatte er das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, weil er wusste, dass sie auf jede Bewegung seinerseits achtete und reagierte. Er legte ein wenig Verlegenheit in seinen Blick und sah sie zurückhaltend an.
"Tut mir leid, ich hab dich eben nur so angestarrt ... weil, ich glaube, ich habe dich noch nie lächeln gesehen."
Er lächelte sie nun seinerseits an, und löste dann seinen Blick wieder von ihr, um es ihr nicht schwerer mit ihm zu machen, als sie es vermutlich eh schon hatte.
"Wollen wir dann los, Madame?"
Er grinste sie verschmitzt an, und lief los.

Es war kein sonderlich weiter Weg bis zur Bahn gewesen, und sie hatten ihn in einvernehmlichem Schweigen zurückgelegt. Leila hatte sich immer einen, zwei Schritte hinter Masao gehalten, und er hatte das akzeptiert. Am Bahnhof angekommen, kaufte Masao zwei Tikets und sah sich dann um.
"Ah! Das dahinten ist das Gleis, wo unser Zug abfährt."
Zusammen mit Leila setzte er sich in Bewegung, bis sie den schon wartenden Zug erreichten. Von der Hitze nun doch ein bisschen fertig, ließ Masao sich in den Sitz gegenüber von Leila fallen und legte ihren Mantel sorgfältig neben sich. Dann brach er zum ersten Mal seit sie aus dem Park aufgebrochen waren, das Schweigen.
"Warst du schon mal in der Kunsthalle, oder gibt es etwas, was du besonders gern sehen willst?"
Der Zug setzte sich ruckelnd in Bewegung. Bis auf eine ältere Dame mit Hund, einen Zeitung lesenden Geschäftsmann und eine Reisegruppe von etwa sieben Leuten war das Abteil leer.

Die Blonde hatte ihn eine ganze Weile verlegen angeschwiegen. Sie wusste nicht was es war, das ihr prompt die Sprache verschlagen hatte, aber immerhin fing sie sich nach einer Zeit wieder. Die beiden schritten stumm zum Bahnhof, an dem sich Menschenmassen tummelten, als ein Schnellzug sein Gleis erreichte und Kinder aus den Bahnen stiegen, die nach ihren Eltern Ausschau hielten, Frauen, die von ihren Freunden mit einem sanften Kuss auf die Wange begrüßt wurden, bevor diese ihnen die Koffer abnahmen und ältere Ehepaare, die sich gegenseitig beim Aussteigen im Gedränge zu helfen. Manchmal vergas Leila alles über diese Bilder hinweg. Sie träumte in solchen Momenten gerne vor sich hin, ließ die Zeit an sich vorbeisausen und verspürte immer wieder aufs Neue das Bedürfnis, all das in einem Notizbuch festzuhalten. Ähnlich ging es ihr an Flughäfen. Trotz des vorherrschenden Tumults konnte man viel Ruhe in den Augen der Menschen finden, wenn sie ihre Liebsten glücklich in die Arme nahmen. Manche weinten, andere lachten. Das waren Szenen, die sich lohnten zu verfolgen. Szenen, für die sie sich sogar schutzlos unter die Menschen traute. Hin und wieder durchzuckte sie ein stechender Anflug von Angst, wenn jemand sie anrempelte und Leila wurde aus ihren Gedanken gerissen, doch der Anblick dieses Glücks, dieser Verbundenheit holte sie an Bahnhöfen und Flughäfen immer so schnell wieder zurück in eine andere Welt, dass sie es beinahe vergas in Panik zu geraten, sich Gedanken zu machen, welcher dieser Menschen möglicherweise schon einmal ein Verbrechen begangen hatte. Sie mochte Menschen nicht, das stand fest, aber sie konnten nichts für ihre Art, ihre Schwächen und Stärken, an solchen Orten jedoch konnte man förmlich spüren, wie stark ein Mensch sich geben konnte, der seine Schwäche mit einem anderen teilte. Das Vermissen. Schon das zweite Mal an diesem Tag musste die Blonde lächeln, als sie sich auf einzelne dieser Momente konzentrierte und ihnen ihre volle Aufmerksamkeit schenkte, während Masao das Zugticket kaufte. Sie hatte nichtmal mitbekommen, dass er für kurze Zeit verschwand und dann plötzlich zurückkehrte. Erst, als Masao sie auf das Gleis aufmerksam machte, zu dem sie gehen mussten, riss Leila den Kopf hoch und kniff die Augen zusammen, um von ihrem Tagtraum zu erwachen. Sie nickte hastig lächelnd und folgte ihm dicht an seiner Seite vorbei an einer Gruppe von betrunkenen Jugendlichen, die ihr lüsternd nachstarrten und pfiffen.
In der Bahn sitzend ergriff Masao das Wort und brach die peinliche Stille. Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Ich wollte schon immer dort hin. Ich liebe Kust im Allgemeinen, es ist beinahe egal, was es ist, alles hat eine eigene Geschichte. Bisher hat leider nie jemand Zeit gefunden oder sich schlicht weg nicht dafür interessiert." Sie zuckte die Schultern und saß dann wieder emotionslos da, während sie darauf hoffte, dass Masao das Gespräch halten könnte, damit sie nicht groß nach Themen suchen musste.