Die Blonde musterte Masao eine ganze Weile mit einem schwachen Gesichtsausdruck und versuchte sich vergebens darauf zu konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch so sehr sie sich auch anzustrengen versuchte, nichts war versteinernder als ihr Verstand und die glasige Erinnerung an das Geschehene. Sie selbst war mit ihrer Geduld am Ende, scheiterte immer wieder daran sich aufzuraffen. Was brächte es ihr, nach Hause zu gehen, die ständigen bemitleidenden Streicheleinheiten ihres Vaters über sich ergehen zu lassen? All das widerte sie an, weshalb die letzte Bewegung, die sie zu Stande brachte, jene war, sich auf eine niedrige Mauer fallen zu lassen, die ein Beet umzäunte und sie kraftlos die Hand hob, nach Masaos Handgelenk griff und sachte daran zog. "Ich kann da nicht hin." Masaos Hand löste sich, durch ihrsanftes Ziehen daran, aus seiner Hosentasche und die Finger des Mädchens glitten über seine Handinnenflächen bis zu seinen leicht angewinkelten Fingerspitzen, wo sie hängen blieben und dort verweilten. Letztlich brannten ihre Fingerkuppen und Leila wurde heißkalt. Sie entzog ihm flüchtig die Hand und klemmte sie unter die, um die angewinkelten Beine geschlungenen, Arme. Wo war all das Leiden? Wo auch immer es sich bis gerade versteckt gehalten hatte, es war blitzartig durch eine einzige Berührung zurückgekehrt. Etwas verstört schüttelte sie den Kopf, richtete ihren starren Blick direkt vor sich auf den Boden und zügelte ihr Lust aufzuspringen und sich in irgendeinem kleinen Raum für den Rest ihres Lebens einzuschließen. Ewige Geborgenheit und Sicherheit. Das war es, was sie brauchte. Kein Schutz. "Mitleid und all das ist nichts für mich, verstehst du? Ich hasse diese Menschen, die es nötig haben nach Aufmerksamkeit zu schreien, allerdings sollten sie welche abbekommen, damit endlich Stille einkehrt. Ich hingegen hab darauf keine Lust, will meine Ruhe und andauernd müssen sie mir Momente der Sicherheit wegnehmen", ertönte als leises Murmeln aus ihren leicht geöffneten Lippen. Für den Jungen mussten alle diese Dinge, die sie sagte unglaublich wirr und unverständlich klingen, obwohl sie sehr offensichtlich waren und man leicht verstehen konnte, was die Blonde versuchte auszudrücken, obwohl sie nie vorgehabt hatte über ihr Empfinden, Befinden und ihre Ängste zu sprechen. Doch es fühlte sich richtig an. Vielleicht auch nur, weil sie hoffnung darin schöpfte, einem Jungen zu vertrauen, um ihre Ängste zu bewältigen. Sie hatte das nötige Gespür dafür, um zu wissen, wann es an der Zeit war zu schweigen. Der Wind fuhr in die Haare des Mädchens und ließen die Situation wie in einem schlechten Drama wirken. Es hätte nur noch der Adlige gefehlt, der auf einem weißen Pferd vorbeiritt und alles wäre perfekt gewesen. Doch das hier war keine Geschichte. So weit weg die Blonde auch von der Realität war, so nah befand sie sich auch am Rande der Fiktion, die es ihr ermöglichte einen hauchdünnen Schutzwall zu errichten, um das Reale nicht in zu großen Mengen an sich heran zu lassen.

Als sie an seiner Hand zog, war Masao ziemlich überrascht. Soweit er sich erinnern konnte, war das jetzt schon das zweite Mal, dass sie ihn von sich aus berührte. Einen Moment lang lagen ihre Fingerspitzen aneinander, dann zog sie ihre Hand ruckartig zurück und steckte sie unter ihren Arm. Masao blickte sie verwundert an. Als sie dann anfing zu sprechen, ging er vor ihr in die Hocke, jetzt in etwas auf einer Höhe mit ihrem Gesicht. Aufmerksam lauschte er ihren Worten, nicht eine Sekunde lang den Blick von ihrem Gesicht lassend. Als sie geendet hatte, richtete er sich auf, und setzte sich neben sie auf die Mauer. Das war seine Chance, er merkte es sofort. Sie nicht ansehend stütze er sein Kinn auf einer Hand ab, und schaute auf die Straße.
"Ich habe nicht vor, dich zu bemitleiden. Aber so ganz alleine ... denkst du denn, dass du das schaffen kannst ? Ich meine, du kannst dich noch so sehr einschließen, abkapseln und wegrennen, aber davon wird es doch auch nicht besser. Alleine kannst du nicht darüber hinwegkommen. Also will ich dir nicht mein Mitleid anbieten, sondern meine Hilfe. Zuallererst mal ... wollen wir was essen gehen, wenn du nicht nach Hause willst ? Ich für meinen Teil habe wahnsinnigen Hunger."
Jetzt richtete er seinen Blick auf sie, und lächelte sein freundliches Lächeln.

Leila zuckte die Schultern und nickte dabei aber leicht. Die Sache mit der Hilf überging sie fürs Erste. Darauf zu antworten würde sich von selbst ergeben, wenn die Zeit reif war. Sie würde merken, was für ein Spiel er eigentlich spielte, doch etwas in ihr zwang sich dazu nicht darüber nachzudenken, einfach mal positiven Fußes an die Sache heranzutreten. Das Mädchen stand kurz entschlossen auf und lächelte leicht zurück. "Kennst du dich hier aus, oder soll ich dir ne gute Pizzaria zeigen?", ihr Unterton hatte etwas beflügeltes. Nicht nach Hause gehen zu müssen, aber auch nicht alleine draußen in die Gegend starren zu müssen war vermutlich die Rettung ihres noch so schrecklichen Tages. Solang er ihr nicht zu nahe kommen würde und sie die Kontrolle darüber behielt, würde es ihr nicht schaden. Zumindest redete sich die Blonde das verkrampft ein. Egal, jetzt schwang sie ihre Tasche über die Schulter und schob die Hände in die Taschen ihrer braunen Lederjacke.

Da war es. Sie hatte ihn angelächelt. Masao musste sich beinahe den Siegeslaut verkneifen. Er lächelte stattdessen freundlich zurück, und verneinte ihre Frage.
"Nee, wir sind noch neu hier, ich kenn mich hier also überhaupt nicht aus ... du kannst mir aber gerne die Stadt zeigen, wenn du willst!"
Er lachte leicht, lies es wie ein unbeschwertes, offenes Lachen klingen. Dann nickte er zu der Tasche auf ihrer Schulter.
"Lass mich doch mal ganz Gentleman sein, und dir deine Tasche abnehmen."
Nachdem er sich die Tasche über die Schulter geschwungen hatte, machte er eine Bewegung, die beinahe an eine Verbeugung erinnerte, um ihr den Vortritt zu lassen und anzudeuten, dass er ihr auf dem Fuße folgen würde. Als sie loslief, ging er nahezu an ihrer Seite, die Hände wieder in den Hosentaschen. Er überlegte, ob er etwas sagen sollte, und schließlich begann er mit:
"Lebst du schon lange hier ?"

Leila sah sich achtsam in der Umgebung um, verlor auch Masao nicht aus den Augen. "Ja, ich bin hier aufgewachsen.", gab die Blonde knapp zurück und achtete darauf möglichst zügig zu gehen, um nicht die einsamen Straßen alleine mit ihm entlang laufen zu müssen. Zwar traute sie ihm noch nicht zu, dass er sich jetzt schon an sie ranschmeißen würde, aber auf Nummer Sicher zu gehen, hatte noch keinem geschadet. Irgendwann gelangten die beiden zu einem kleinen Häuschen. Es wäre sicher zwischen den großen Bauten untergegangen, wenn sich nicht Menschenmassen davor getummelt hätten und wild der Bedienung ihre Bestellung zum Mitnehmen zuposaunt hätten. "Keine Sorge, wir setzen uns besser rein, nur To-Go ist das so ne Sache hier." Vorbei an den Massen, hier und da eine Berührung am Arm, dann eine am Oberschenkel, während die Blonde und ihre Begleitung sich durch das Gedränge schoben. Einmal war Leila danach zumute gewesen einem der Typen eine zu verpassen, als er sie angaffte, als sei sie eine nackte Schaufensterpuppe. Eine berührung mit dem Kerl hätte dem Mädchen aber alle Nerven geraubt, weshalb sie tief durchatmete, das ganze ignorierte und sich weiter zu einem Tisch durchkämpfte, der abgelegener von dem To-Go-Bereich lag und für zwei Personen eingedeckt war. Dort ließ sie sich erschöpft auf einen Stuhl fallen und schob ihre Haare wieder auf die Schultern, da sie völlig zerzaust worden waren. Masao folgte ihr.

Masao zwängte sich durch die Massen, und zerrte die beiden Taschen hinter sich her. Als er sich schließlich hindurchgearbeitet hatte, war er leicht außer Atem. Mit einem leisen Stöhnen lies er sich auf einen der Stühle fallen, und wischte sich die Stirn.
"Mensch, bei dieser höllischen Hitze auch noch diese ganzen Leute ... war ja nicht auszuhalten da drin. Na, aber so wie die sich da drängen, scheint das Essen das ja wert zu sein."
Er lachte leise, dann nahm er sich eine Speisekarte zur Hand. Nachdem er alles einmal überflogen hatte, seufzte er unentschlossen. Dann beugte er sich über den Tisch, zu Leila hin.
"Ich kann mich nicht entscheiden - du kennst den Laden ja, was würdest du mir empfehlen ?"
Er sah sie neugierig an. Sie wirkte entspannter als zuvor, und er wollte seine neuen Grenzen austesten.

Leila wich geschickt ein Srück zurück und lehnte sich in ihre Rückenlehne. Die blonden Haare fielen ihr wellig ins Gesicht, da sie durch die Luftfeuchtig draußen immer dazu neigten sich in wahrhaftige Springlocken zu verwandeln. Das Mädchen hatte sich früher immer darüber aufgeregt, doch mittlerweile war es anders geworden. Sie seufzte und überflog ebenso die Karte, bis sie zufrieden lächelnd mit dem Finger auf eine Pizza mit Rucola und Tomaten zeigte und die Karte zu Masao drehte, sodass dieser hineinschauen konnte. "Die ist in meinen Augen die beste, aber du wirst schon selbst wissen, was du willst." Sie zuckte die Schultern und kurz darauf huschte ein junger Mann, der ganz offensichtlich die Bestellung aufnehmen wollte, auf Leila zu und grinste sie breit an. Ihr blieb nur ein konzentriertes Stirnrunzeln und ein Zurechtzupfen des Tshirts, sodass sie keine Gefahr laufen musste, dass der Typ ihr von oben herab in den Ausschnitt schaute. Sie tippte erneut auf die gewählte Pizza und gab dem Kellner die Karte zurück, wobei dieser es nicht vermied die Karte so entgegen zu nehmen, dass er ihre Hand mit seiner streifte und Leila ihre hastig zurück zog und wütend den Blick auf die flackernde Kerze, welche in einem wunderschön bunten Glas stand, richtete.

Masao nickte, als sie auf das Gericht deutete.
"Das hätte ich auch ausgewählt! Aber danke, dass du mich noch einmal bestätigt hast."
Er winkte mit einer Hand einen Kellner heran, und bestellte für sich und Leila. Während die beiden auf ihr Essen warteten, stützte Masao den Kopf auf die Hand, und musterte Leila lange.
"Du machst dich selbst etwas sehr runter, kann das sein ? Ich meine ... wäre es nicht viel einfacher, wenn du noch einmal versuchen würdest, jemandem zu trauen ? Muss jetzt nicht ich sein, das sage ich nicht. Aber schau mal ... vergleich es doch mal mit einer offenen Wunde. Tut mir leid, so einen Vergleich kurz vor dem Essen zu ziehen, sobald unser Essen da ist, breche ich ab."
Er lachte leise, dann lehnte er sich vor, und sah ihr direkt in die Augen.
"Einer Wunde schaust du doch auch nicht einfach untätig beim' Bluten zu, oder ? Nein, du verarztest sie, sorgst dafür, dass du den Schmerz nicht mehr spürst, es sich nicht entzündet, und du nicht mehr dauernd daran erinnert wirst. Ja, es bleibt eine Narbe - aber wenn eine Wunde zu einer Narbe wird, bedeutet das nur, dass man die Wunde nie mehr vergessen, nie mehr denselben Fehler machen wird. Aber auch, dass man damit abgeschlossen hat, dass es so gut es eben geht verheilt ist. Denkst du nicht, dass das für dich und deinen momentanen Zustand nur gut wäre ? Es ..."
In diesem Moment trat der Kellner an den Tisch, und stellte das bestellte Essen ab.
"Okai, ich höre auf, hab ich ja versprochen."
Er nahm sich sein Besteck und nickte Leila zu.
"Guten Hunger."

Leila verdrehte entnervt die Augen. "Woher willst du bitteschön wissen, wie sich sowas anfühlt? - Steckst du in meiner Haut, nein. Und ich ziehe mich auch definitiv nicht selbst damit runter, denn was mal eben in 6 Wochen zu verarbeiten, hat meines Wissens nach noch keiner geschafft." Ein wütender Unterton schwang bedrohlich in ihrer Stimme mit.
"Glaubst du, ich sitze hier mit dir, um mich weiter runterziehen zu lassen? Wenn dem so wäre, dann könnte ich genauso gut nach Hause gehen und müsste nicht mit einem Jung hier rumlungern, den ich gerade einmal einen einzigen Tag kenne." Was wusste er überhaupt über sie? Er hatte kein Recht sich so aufzuspielen, zu tun, als könne er ihren Schmerz von den Lippen ablesen.
Es war tiefer und hatte ihr Herz beinahe versteinern lassen, doch die Risse blieben eingemeißelt, würde immer wieder aufreißen, wenn sie sich zu schließen begannen. Ein endloser Prozess, der sie ins Verderben stieß. So gesehen hatte Masao mit seinen Thesen also durchaus recht, dennoch konnte die Blonde sein Psycho-Gequatsche nicht ertragen, da es eindeutig auf der Hand lag, dass er im Grunde nichts von dem Gesagten verstanden hatte.

Nachdem Leilas wütende Triade geendet hatte, schwieg Masao. Er konzentrierte sich auf sein Essen, und sah während des kompletten Essens nicht einmal mehr zu ihr. Zum Teil, weil das Essen wirklich gut war - zum anderen, weil ihr Worte ihn zum Nachdenken angehalten hatten. Als er fertig war und sie auch, winkte er eine Kellnerin heran, um zu zahlen. Er bezahlte für sie beide, ohne Leila auch nur die Möglichkeit zu geben, zu widersprechen. Dann stand er auf, nickte der Kellnerin noch einmal zu, nahm wieder seine und Leilas Tasche und bewegte sich in Richtung Ausgang. Draußen war es zwar nicht viel, aber immerhin etwas kühler geworden. Masao nahm einen tiefen Atemzug, und drehte sich dann zu ihr um. Das erste Mal seit einer guten halben Stunde sah er sie wieder an.
"Ja, vielleicht habe ich keine Ahnung, wie du dich fühlst. Vielleicht labere ich wirklich nur dummes Zeug. Aber wenn du dich so sträubst, dann kann ich es auch nicht besser. Ich versuche dich und deinen Schmerz zu verstehen. Aber wenn du dich dem so verweigerst, dann kann ich es einfach nicht."
Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte er sich in Bewegung. Er war nicht untätig gewesen, er wusste genau, wo sie wohnte. Für heute würde er nichts mehr unternehmen, er würde sie einfach nach Hause bringen, und ihr Zeit geben, über ihn nachzudenken.

Leila ging eine Zeit lang schweigend hinter ihm her und atmete flach, um nicht aufzuschreien, bis sie ihn irgendwann einholte und ihm ihre Tasche entriss. "Was soll das? Ich hab dich nie darum gebeten, dass du mir helfen sollst, nur dieses eine Mal heute und da hast du selbst die Entscheidung getroffen mich nicht mit diesem Perversling allein zu lassen. Tu also nicht so, als wärst du ein untätiger Junge, der versucht sich aus der Sache herauszuhalten und dennoch für mich da zu sein. Darauf hab ich keine Lust, ehrlich. Ich kenne dich kaum und bin trotzdem hier, deshalb verstehe ich nicht, weshalb du plötzlich mit sowas anfängst, das wird mir langsam echt zu blöd." Für gewöhnlich wäre sie nun von Dannen gezogen, doch draußen war es bereits dunkel und ihr Weg nach Hause nicht mit einer einzigen Laterne ausgeleuchtet. Sie fürchtete sich vor diesem Weg und war schlicht weg wieder einmal froh darum, dass Masao noch nicht von ihrer Seite gewichen war, ganz gleich welche Absichten er hatte. Der Griff an dem Lederriemen ihrer Tasche verstärkte sich sekündlich und die Blonde hielt den Blick gesenkt, als sie auf ihr Haus zusteuerten. In der Küche brannte Licht und man konnte die deutlichen Schatten ihres Vaters und der Mutter erkennen, die bei geöffnetem Fenster lautstark über Leila stritten. "Du hast sie zur Schule gefahren? Bist du behindert im Kopf?!" Leilas Vater rastete grundsätzlich aus, wenn ihre Mutter der Blonden etwas recht machte. es war ihm egal, ob das Mädchen zu spät zur schule gekommen wäre, was zählte waren seine Erziehungsmethoden, die nicht unbedingt jeder verstand. Leila seufzte leise und ließ kraftlos die Schultern hängen. "Unsere Tochter gehört hier eingesperrt, die hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank, dass sie einfach nicht nach Hause kommt!" - "Reg dich nicht so auf, vielleicht ist sie mit ein paar Freunden unterwegs, Schatz."- "DAS wäre ja noch die Kröhnung, ich kann mir schon denken, warum diese Kerle damals gerade sie überfallen haben. Schau sie dir doch an, was nur aus ihr geworden ist. Wie billig sie sich kleidet!" Leila biss sich auf die Lippe und sah automatisch an sich herunter. Rollkragenpullover, enge, ganz normals Jeans, was war schon dabei? Billig waren die, die strumpfhosen trugen und dazu ein Top, das nicht mal deren Hintern überdeckte. Das Mädchen hob den Blick zu Masao und strich sich nervös die Haare hinter die Ohren. "Siehst du, es versteht niemand." Ihr Stimme war ungerührt, beinahe kalt, doch ihr Gesichtsausdruck widersprach sich zweifelsohne mit dem, was ihr über die Lippen kam. Tiefe Verletztheit lag darin, Verzweifelung und Trauer um das, was sie vor 6 Wochen verloren hatte. Sich selbst. Leila trat einen Schritt auf Masao zu und beugte sich leicht zu ihm hinüber, sodass sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange geben konnte. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln und verschwand in ihrem Haus, wo man noch unüberhörbar mitbekam, wie ihr Vater auf sie einbrüllte.

Masao rechnete schon jeden Moment damit, dass sie ihm ihre Tasche entreißen würde. Als sie es dann wirklich tat, war er somit kaum überrascht. Mit einem Seufzen ließ er den Riemen aus seinen Fingern gleiten, und überließ die Tasche ihr. Als er ihr Gesicht sah, als sie begriff, welcher Weg noch vor ihr lag, machte er einfach wortlos den Schritt an ihre Seite, der zeigte, dass er mit ihr mitgehen würde. In Stille und merkwürdiger Einheit liefen sie durch die dunklen Straßen. Als sie vor ihrem Haus standen, wollte er grade das Schweigen brechen, als der Lärm von drinnen es für ihn erledigte. Mit hochgezogenen Augenbrauen lauschte er den Worten. Verdammt, das war ihr Kind. Sie sollten mehr Verständnis für sie haben. Er hätte Leilas verzweifelte, leise, kleine Worte in den lauten aus dem Haus beinahe nicht verstanden, doch irgendwie kamen sie bei ihm an. Sein Blick schnellte zu ihrem Gesicht, auf dem sich eine Verletzlichkeit und Verzweiflung fand, die Masao beinahe den Atem nahm. Er wollte etwas sagen, irgendetwas kluges, cooles, beeindruckendes - aber angesichts des Blickes, den sie zu ihm warf, blieben ihm all die geübten und zurechtgefeilten Worte im Halse stecken. Als sie sich schließlich hochreckte, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, löste sich seine Starre endlich, Als sie sich umdrehte und ins Haus verschwand, wollte er nach ihr greifen, sie festhalten, aber sie war flinker. Als sie verschwunden war, hob er eine Hand an die Wange, und schimpfte sich in Gedanken einen Idioten.

[Während er ihre Tasche hatte, hat Masao das Handy wieder reingetan - mit einem neuen Kontakt in der Liste :
Name: Masao
Nummer: 0160-xxx-xxx-xx
Notizen: Ruf an, wenn du einen wie mich brauchen könntest ;)]

Zuhause angekommen, wurde Masao von seinem kleinen Bruder mit Fragen gelöchert, kaum dass er durch die Tür war.
"Na ?! Wie war es ?! Wie lange brauchst du noch ?! Sie ist ja als unnahbar seit ihrem Unfall bekannt ... aber die knackst du sicher auch. Ich meine, es gibt ja keine, die dir widerstehen kann ... oder habt ihr etwa heute schon ... ?!!"
Masao kickte seine Schuhe von sich und warf seine Tasche in einer Ecke. Dann, bevor er die Treppe in sein Zimmer hochstieg, schaute er seinen Bruder kurz nachdenklich an.
"Es war ... anders."
In Gedanken versunken ging er in sein Zimmer, und ließ seinen Bruder verwirrt zurück.

Am nächsten Tag stand er schon in aller Frühe vor Leilas Haus, da es sich gestern nicht so angehört hatte, als würde sie heute noch einmal gefahren werden. Er stand natürlich nicht höchstselbst da. Ein perfekt klimatisierter Wagen mit der einzigen weiblichen Chauffeurin die seine Familie hatte, war bis eine Ecke vor Leilas Haus vorgefahren. Seine Brüder hatte er mit voller Absicht in ein anderes Auto verfrachtet. Er warf einen schnellen Blick auf die Uhr. Es war Zeit. Er öffnete die Autotür, stieg aus und lief zu Leilas Haus. Dort stand er, darauf artend, dass sie aus der Tür kam, und er ihr seine sorgfältig vorbereitete Mitfahrgelegenheit anbieten konnte.

Leila war in ihr Zimmer gerannt, hatte die Tasche auf den Boden geschmissen, die Türe verschlossen und sich dort auf ihr Bett fallen lassen, bis sie sich letztlich nochmals aufrappelte und aus dem Fenster sah. Masao stand voller Verwirrun mit einem leeren Blick da, fasste sich an die Wange und drehte sich dann nach einem scheinbar endlosen Verweilen um und ging. Das Mädchen sah ihm stumm nach, zog die Beine an die Brust und schlang die Arme um die Beine, sodass sie ihr Gesicht in der entstehenden Lücke verstecken konnte. Sie schloss die Augen und atmete gleichmäßig, bis sie langsam zur Seite kippte und in der selben Haltung auf der rechten Seite einschlief.

Ein ohrenbetäubendes Geräusch riss die Blonde aus ihren düsteren Träumen und Leila war so froh, wie schon lange nicht mehr, dass sie endlich aufstehen musste. Sie richtete sich ungeschickt auf und griff verschlafen nach ihrer Schultasche, nachdem sie sich die Haare hastig durchkämmt hatte und sie zu einem Dudt zusammengerauft hatte. Die Tasche über die Schulter geschwungen und in einen Mantel und Schal gehüllt, verließ sie das Haus und rannte dabei beinahe Masao um. Das Geschreie ihres Vaters im Hintergrund vergaß sie dabei komplett und starrte ihn erschrocken an. "Was...", sie stoppte und lehnte sich ein Stück auf die Seite, um an ihm vorbeizuschauen und eine freie Sichtweite auf das schmucke Auto zu haben, das sie ganz offensichtlich abholen sollte. Sogar eine weibliche Fahrerin hatte er sich ausgesucht und Leila verdrehte, ohne darüber nachgedacht zu haben, die Augen, schob die Hände in die gewärmten Taschen ihres Mantels und schüttelte den Kopf. "Nein, danke." Sie konnte unmöglich diesen Weg mit einem Jungen an ihrer Seite in einem Auto eingesperrt verbringen. Keine Ausweichmöglichkeiten, keine weiteren Menschen, die helfen konnten. Leila begann unwillkürlich zu zittern und schüttelte erneut den Kopf. "Ich kann das nicht, tut mir leid." Sie trat an ihm vorbei und ging in einem unmenschlich schnellem Tempo los. Alles, was sie jetzt noch wollte, war einfach diesen Weg hinter sich zu lassen, allerdings beim besten Willen nicht auf der Rückbank einer Limo mit einem Jungen zusammen, den sie seit einem Tag kannte und der, was auf der Hand lag, zudem noch an ihr interessiert war. Sie senkte den Blick und vergrub das Gesicht bis auf Nasenhöhe in ihrem Schal. Es war zwar unglaublich warm, dennoch würde sie sich nicht entblößen, so wie die anderen Mädchen, die über die Straßen liefen und in Miniröcken unterwegs waren, die mit jedem Schritt, den sie taten ein Stück höher rutschten. Immer wieder zupften sie sich diese zurecht, striegelten ihre Haare zurecht und zückten heimlich ein paar Taschenspiegel, um verstohlene Blicke hineinzuwerfen und sich zu vergewissern, dass keine Haarsträhne ungewollt ins Gesicht gefallen war, oder die Wimperntusche ein bisschen gebröckelt hatte und nun auf den Wangenknochen Platz gefunden hatte. Das war doch alles Wahnsinn. Leila hätte beinahe zum dritten Mal an diesem Tag den Kopf geschüttelt, konnte sich das alles allerdings angesichts des Mannes verkneifen, der ihr entgegen kam und sie mit einem schiefen Grinsen fragte, weshalb sie sich so ein packen würde und ob er ihr beim auspacken helfen könne. Die Schritte des Mädchens verschnellten sich weiter und sie biss sich auf die Lippe, als der Mann an ihr vorbei war und sie deutlich seinen Blick in ihrem Rücken spürte.

Masao sah ihr vollkommen verblüfft nach - er hätte um nichts in der Welt damit gerechnet, dass sie sein Angebot ausschlagen würde. Aber gut. Sie war eben ... anders. Er seufzte, dann winkte er der Chauffeurin ab, schulterte die Tasche, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und machte sich auf den Weg. Er hasste sowohl unnötige Fußwege als auch die übermäßige Hitze - aber was tat man nicht alles. Er holte sie grade ein, als sie sich von einem älteren Mann losriss, der sie offenbar dumm angemacht hatte. Er seufzte, und musste sich fast ein Lachen verbeißen. So auffällig, wie sie verklemmt war ... meine Güte, kein Wunder, dass sie allen die ihr begegneten ins Auge fiel. Er grinste, änderte aber schnell seine Miene, als er neben sie trat.
"Nur weil du nicht mit mir in einem Auto fahren willst, musst du doch nicht gleich so davonrennen."
Er musterte sie von oben bis unten, achtete dabei aber darauf, dass sein Blick ein distanziertes Interesse behielt.
"Also, das ist jetzt nicht böse oder anzüglich gemeint ... aber ist dir nicht warm ?! Hitzschläge sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen, das kann einen Herzinfarkt nach sich ziehen."
Den 'zieh doch was aus'-Zusatz verkniff er sich wohlweislich - so nett und harmlos es auch gemeint wäre, sie würde es eh wieder missverstehen. Er legte den Kopf schief.
"Ganz im Ernst ... du siehst aus, als würdest du vor Hitze gleich zusammenbrechen."

Leila verkniff sich verkrampft ein entnervtes Schnauben und krallte ihre Finger innerhalb der Jackentaschen fest, um die Hände nicht zu entblößen und ihm ins Gesicht zu schlagen. "Lass mich doch einfach, wenn ich es so will.", motzte sie und würdigte ihm keines Blickes. Bis zur Schule war es noch ein weiter Weg und die Blonde hoffte, dass er sich nicht bis in die Unendlichkeit hinziehen würde, was schwer war mit so einem an ihrer Seite. Ihre Schritte wurden bei diesem Gedanken bedenklich schnell, doch er stochte gelassen neben ihr her, was mehr und mehr ihre Aggression steigerte und sie und kurz davor war einfach loszurennen, was absolut widersprüchlich zu dem war, was sie tat. Sie hielt inne, blieb stehen und musterte ihn einen Moment, bis sie flüsterte: "Hör bitte auf mich zu nerven. Du bist nicht anders, als alle anderen. Ich habe genug Erfahrungen damit gemacht, also lass mich einfach zufrieden. Dass du das mit dem Ausziehen ebenso nochmal anspielst, sagt schon alles, aber bitte," sie löste ihre festen Griffe im Stoff der Jackentaschen und knöpfte die Jacke vom Kragen an auf, bis sie ihm diese einfach entgegenschmiss und seine Reaktion testete. Es war ihr klar gewesen, dass er sie anstarren würde, weshalb Leila nichts blieb, als fassungslos den Kopf zu schütteln, ihm ihre Jacke wieder zu entreißen, sie überzuziehen und bis oben hin zu schließen. "Ihr seid alle gleich, deshalb renne ich so rum." Damit war von ihrer Seite aus das Gespräch beendet und sie ging wortlos weiter.

Masao war vollends verwirrt, als sie ihm den Mantel zuwarf, nur um ihn ihm kurz darauf wieder aus der Hand zu reißen.
"Eh, warte mal ... wenn sich jemand spontan und unerwartet ein Kleidungsstück runterreißt schaut man halt, weil man nicht damit rechnet! Du schiebst mir hier Sachen in die Schuhe ... ich falle doch nicht über dich her, nur weil ich dich anschaue. Vollkommen harmlos, möchte ich dazu mal sagen!"
Mit ein paar schnellen Schritten hatte er wieder zu ihr aufgeschlossen. Dabei fiel ihm ihre rotes Gesicht und ihre leicht angestrengte Atmung auf. Anscheinend war ihr wirklich unglaublich warm. Sogar ihr Schritt war leicht wackelig. Er musste sich ein Lachen verkneifen. So was Stures war ihm noch selten begegnet. Aber als er sah, wie ihr Taumeln etwas schlimmer wurde, wurde er besorgt. Er hielt sich vorsichtig einen Schritt hinter ihr um sie im Zweifelsfall auffangen zu können.

[Deine Entscheidung, ob du sie umkippen lässt oder nicht :>]

Es war nicht die Hitze, sondern dieser Weg, den sie gehen musste, der das Mädchen zweifelsohne und buchstäblich aus der Bahn warf. Sie wankte, blieb irgendwann erschöpft stehen und spürte, wie ihr das Blut aus den Knien entwich. Ihre Augenlider wurden träge und fielen gelegentlich zu, weshalb sie es noch gerade schaffte darauf zu warten, dass Masao sie einholte und dann verkrampt in seine Arme zu stolpern.
Ihre Brust hob und senkte sich schwerfällig und ihre Arme umschlangen Masaos Hals, als sie letztlich vernahm, wie ihre Hände, die in seinem Nacken gefaltet waren, sich ablösten und langsam über seine Brust hinabfuhren. Leila sank in sich zusammen und hielt sich nur noch schwach auf den Beinen, bis sie spürte, wie Masao ihr unter die Arme griff und sie festhielt. Das Mädchen ergab sich und ließ sich vom Dunkeln überrollen, sodass sie das Bewusstsein verlor und tief ausatmete, als sie in die Knie ging. Ja, aus irgendeinem Grund konnte sie sich in seinen Armen fallen lassen und vergessen, dass sie durchhalten musste. Im Unterbewusstsein war ihr klar, dass dort etwas war, doch ihre Blockade ließ es nicht zu, etwas in diese Richtung zu unternehmen, sondern sträubte sich unwillkürlich dagegen. Hier und da sickerte es jedoch durch, ihr Vertrauen, dass sie auf seine Schultern gelegt hatte.

Masao war nur gelinde überrascht, als sie wirklich zusammenbrach. Was ihn allerdings nahezu aus der Bahn warf war die Tatsache, dass er sich nicht vollkommen auffangen musste, sondern sie sich beinahe in seine Arme fallen lies. Was war denn das, nach allen Maßnahmen die sie getroffen hatte, um ihn von sich wegzuhalten ? Vielleicht war er einen entscheidenden Schritt weitergekommen, ohne es auch nur zu merken ? Egal, erst mal würde er sich um sie kümmern. Den einen Funken ehrlicher Sorge, der in ihm aufkeimte, ignorierte er und würgte ihn ab. Vorsichtig hob er sich hoch, klemmte sich ihre Tasche noch unter den Arm und ging dann leicht wackeligen Schrittes in den nächsten Park. Da alle, die zu dieser Uhrzeit unterwegs waren, deutlich Besseres oder zumindest Eiligeres zu tun hatten, als in einen Park zu gehen, war dieser menschenleer. Er legte sie vorsichtig auf einer Parkbank auf den Rücken, dann musterte er erneut skeptisch ihre Aufmachung. Mit einem tiefen Seufzer ergab er sich dann in sein Schicksal.
"Sie wird mich umbringen, wenn sie aufwacht ^^;"
Mit einigen geschickten Griffen knöpfte er ihren dicken Mantel auf und streifte ihn von ihren Schultern. Dann legte er ihn zusammen und schob ihn ihr unter den Kopf. Als er sich vergewissert hatte, dass sie bequem lag, ging er zu dem nebenstehenden Springbrunnen und tauchte ein Tuch ins das kühle Wasser, wrang es aus uns legte es vorsichtig auf Leila's Stirn. Dann setzte er sich auf die schmale Kante der Bank, die noch frei war, in etwa auf Höhe ihrer Hüfte. Mit besorgtem Blick musterte er sie, eine Flasche mit Trinken schon in der Hand, falls sie aufwachen sollte.

Gleißendes Sonnenlicht schien auf die Augenlider des Mädchens und sie schob hastig eine Hand schützend davor. Alles war so friedlich und still, so unbeschwert und leicht gewesen, was auch immer sich die Wolken dabei gedacht hatten, ihren Schlaf zu stören, Leila kam nicht darum herum die Augen aufzuschlagen und sich ungeschickt aufzusetzen. Sie hielt zunächst den Kopf gesenkt, begriff, dass ihr Mantel fehlte und riss den Blick hoch, der es ihr schlagartig ermöglichte zu erkennen, dass das Gesicht Masaos nur wenige Centimeter von ihr entfernt war. Die Blonde brauchte einen Moment, um zu verstehen und sah verstört noch einmal an sich herunter. Ihr Pullover mit V-Ausschnitt saß zum Glück noch. Lediglich der Schal war bei Seite geschoben und ihre Lippen formten sich schlagartig zu einem schmalen Strich. "Was hast du gemacht? Wo ist mein Mantel...und viel wichtiger noch: Wieso liege ich neben dir auf einer Parkbank?!" Wütend sprang sie auf, richtete den Schal und setzte sich sogleich wieder, als die Bilder vor ihren Augen zu flackern begannen und ineinander verschwammen. So ein leichtes Opfer. Das Mädchen schüttelte sich angewidert und schob Masao ein Stück von sich weg, als ihr auffiel wie nahe sie sich waren. "Los, verschwinde, Perversling!" Ihre Hände umklammerten verkrampft die Kanten der Bank, sodass ihre Knöchel hervortraten. Eiseskälte rauschte ihren Rücken hinab, durch die Arme und Beine bis in die Finger - und Zehenspitzen. "Ich hasse dich.", flüsterte sie kraftlos hinterher und starrte schwach ins Leere, während sie alles andere außer Masao ausblendete und sich auf seine Bewegungen konzentrierte. Sie durfte ihn nun nicht mehr aus den Augen verlieren.

Masao seufzte tief.
"Ich wusste ja, dass du entsetzt reagieren würdest, aber dass du mich gleich hasst ... kann es sein, dass du einen ausgeprägten Hang zur Melodramatik hast ?"
Er stellte die Flasche zwischen sie beide auf die Bank.
"Hier. Damit auch ja kein Risiko besteht, dass du mich anfassen musst."
Dann lehnte er sich auf der Bank zurück.
"Nur um mich zu erklären ... du hattest einen Hitzeschock, da wäre es unklug und gesundheitsschädigend gewesen, dich länger in dem Mantel zu lassen. Und leider kann nicht mal ich Perversling jemanden aus seinem Mantel holen, ohne die Hände zu benutzen. Und zu der Parkbank ... wäre es dir lieber gewesen, ich hätte dich auf den Boden gelegt ? Übrigens brauchst du dich gar nicht so aufzuregen, hast du schon mal drüber nachgedacht, was vielleicht passiert wäre, wenn ich nicht dageblieben wäre ? Es gibt genug Leute, die genau das tun würden, was du mir hier an den Kopf wirfst. Die Hilflosigkeit eines kleinen Mädchens, welches noch dazu ohnmächtig ist, schamlos ausnutzen. Und jetzt trink was, dann entscheiden wir, ob wir noch zur Schule gehen oder lieber nicht."
Er stand auf, und warf ein Kleidungsstück zu ihr.
"Hier. Dein heiß geliebter Mantel. Übrigens, wenn du dich krampfhaft versteckst, ziehst du viel mehr zweifelhafte Blicke auf dich, als du es so tun würdest."
Masao fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, während er mit dem Rücken zu ihr stand. Er verstand selbst nicht einmal, warum es ihn so wütend machte, dass sie ihn immer noch so energisch zurückwies. Warum es ihn so verletzte. Er knirschte leicht mit den Zähnen. So sehr war er noch nie bei einem Mädchen aus der Rolle gefallen.

Sprachlosigkeit machte sich in Leila breit, als sie erkannte, wie Masao die Fassung über ihre Worte hinweg verlor. Nur zögerlich stand sie auf und tat ein paar Schritte auf ihn zu. Er bemerkte sie nicht, stand abweisend mit dem Rücken zu ihr und starrte wütend ins Leere. Leila hatte ihren Mantel achtlos auf der Bank zurückgelassen und stand nun direkt hinter ihm. Es war eigenartig, aber in ihre kämpften in diesem Augenblick zwei Mächte schamlos gegeneinander an. Die eine, die sie die ganze Zeit über beherrschte und immerzu dazu zwang vor jedem männlichen Geschöpf dieser trostlosen Welt wegzulaufen und die andere, die beinahe in Vergessenheit geraten war, die, die sie nun dazu gebracht hatte den Sicherheitsabstand zu überschreiten und ahnungslos über jenes, was folgen würde, hinter einem Jungen zu stehen, den sie seit gerade einmal 2 Tagen kannte. Leila war sich sicher, dass das Konsequenzen haben würde, doch die aufrichtige Dankbarkeit, die sie empfand ließ sie nicht umkehren und davonrennen, wie es für sie typisch gewesen wäre. "Masao," hauchte die Blonde erschöpft und hoffte, dass er sie ansehen würde, wenigstens den Kopf heben würde, irgendein Zeichen geben würde, das ihr signalisierte, dass sie ihn nicht durch ihre unbedachten Worte verlieren müsste. Stille, dann hob das Mädchen erneut die Stimme, während ihr Blick von seinen Schulterblättern zu seinem Nacken wanderte, "es tut mir leid." Hilflos und verwirrt stand sie da. Unwissend, was sie eigentlich gerade tat, völlig zerstört über den Gedanken, welch abscheuliche Persönlichkeit sie in den letzten Minuten eingeholt hatte. Leila hob schwach die Hand und griff zart nach seinem Handgelenk, wie sie es am Tag zuvor getan hatte, als ihr Exfreund sie bedrängt hatte. Auch ihre Worte waren die Selben "Bitte." Die Blonde durchfuhr Eiseskälte und sie zog ruckartig ihre Hand zurück und vergrub sie in der Hosentasche.

Masao konnte sich nicht zu ihr umdrehen, sich nicht bewegen. Er spürte ihre Präsenz förmlich im Rücken, ihre Hilflosigkeit und Angst. Sein Mundwinkel zuckte leicht bei dem verzweifelten Versuch, seine gelassene Miene nicht entgleiten zu lassen. Als er ihre Finger, zögerlich und verzweifelt, an seinem Handgelenk spürte, ballte er unwillkürlich die Hand zur Faust. Wie als Reaktion darauf zuckte ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Masao fasste einen Entschluss, und griff schnell nach hinten, erwischte ihre Hand ehe sie sich wieder in der Hosentasche verstecken konnte und schob seine Finger zwischen ihre. Er hatte sich dabei nicht umgedreht, sondern stand immer noch mit dem Rücken zu ihr, nur seine Hand hielt ihre.
"Schon gut. Ich habe auch ... überreagiert. Ich sollte Verständnis dafür haben wie du dich fühlst."
Obwohl seine Stimme ruhig klang, zitterte seine Hand fast unmerklich. Das war auch der Grund, warum er noch einen Moment wartete, bis er sich zu ihr umdrehte, wartete bis er sicher war, dass er seine Mimik unter Kontrolle hatte. Kurz bevor er ihre Hand losließ, drückte er sie kurz ganz leicht, wie um seine Worte zu unterstreichen. Seine Hand ließ ihre los, als er sich zu ihr umdrehte. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Zügen.
"Ich würde sagen, wir schwänzen heute lieber mal, was ?"

Leila hatte den Blick gesenkt, sich darauf eingestellt zu gehen und den Schulweg ohne ihn an ihrer Seite fortsetzen zu müssen, weshalb sie verständnislos den Kopf schüttelte, bis Masao ruckartig nach ihrer Hand griff und die Finger mit den ihren verschränkte. Der Blonden blieb die Luft weg und sie spürte das Blut in ihren Fingerkuppen pulsieren, so fest war sein Griff. Sie wusste nicht, ob sie zusammenfahren und wegrennen, oder verharren sollte, doch selbst wenn sie ersteres beabsichtigt hätte, rühren konnte sie sich nicht. Jeder Muskel in ihrem Körper gefror und machte es ihr unmöglich auch nur mit den Zähnen zu klappern, wozu ihr mehr und ehr zu Mute war, da ein Schauer nach dem anderen über ihren Rücken jagte. Nur schwerfällig schaffte sie es den Kopf mechanisch anzuheben und ihm verstört in die Augen zu sehen. Warum war es bloß so kompliziert? Das Mädchen seufzte, als Masao sie losließ und spürte, wie das warme Blut in ihrem Körper sich nach und nach wieder gleichmäßig verteilte, sodass sie es schaffte, sich zu bewegen und in einem nüchternen Tonfall zu antworten: "Ja, Schule lassen wir."

Als er ihre Antwort hörte, leuchteten Masaos' Augen auf.
"Sehr gut! Aber was machen wir stattdessen ?"
Er warf sich ihre Jacke über die Schulter, und grinste sie an.
"Hast du auf irgendwas Lust ? Weil ich vermute einfach mal, nach Hause willst du momentan eher nicht, oder ? Also, ich würde so spontan gerne ... hmmm ... was hälst du von ein bisschen in der Stadt bummeln gehen ? Um die Uhrzeit ist da noch nicht viel los!"
Er freute sich wirklich, wirklich, dass sie ihn nicht weggestoßen hatte. Doch plötzlich sah er in ihren Augen für einen Moment dieses verstörte, unsichere aufblitzen. Er biss sich auf die Lippe. Er gab sich die Schuld daran, sie wieder so aus der Bahn geworfen zu haben und senkte deshalb den Kopf.
"Sorry ... ich vergess' immer wieder, dass ich mit dir vorsichtiger sein muss."

Masaos Euphorie machte Leila ein wenig stutzig, doch als sie in sein freudestrahlendes Gesicht sah, begann sie herzlich zu lachen. "Stadt ist doof, denn wenn uns jemand sieht, haben wir ein ziemliches Problem." Sie zuckte ratlos die Schultern und legte den Kopf schräg, während sie darauf wartete, dass er einen anderen Vorschlag machte. Was dies betraf hatte sie die derzeitige Situation so aus der Bahn geworfen, dass sie keinen klaren Gedanken fassen würde. Andererseits hatte sie panische Angst davor, dass Masao einen Ort vorschlagen würde, an dem sie mutterseelenallein mit ihm sein musste und im Zweifelsfall niemand helfen konnte. Die Blonde kniff für sich selbst wütend die Augen zusammen.
Immernoch war ihr Misstrauen ihm gegenüber zu groß, obgleich er sich wirklich um sie bemühte, sie hatte Angst. "Hättest du etwas dagegen, wenn wir vielleicht irgendwo hingehen, wo wir nicht ganz allein sind, aber keine Polizisten oder Leute in unserem Alter rumhängen?" Ob es so einen Ort gab, war wieder die andere Frage. Hilflos blinzelnd sah sie sich um und überlegte angestrengt, während ihre Stirn ihre Konzentration in Form von Krausziehen wiederspiegelte.